Sollarbeitszeit täglich von 8 bis 18 Uhr, Lohn pro Baum 2,50 € (5.- DM im Jahr 2000), keine Pause, Essen unter freiem Himmel und einen Arbeitgeber, der keine Möglichkeit verabsäumt einen anzutreiben, noch mehr, noch schneller zu machen. Nach 9 Tagen der Arbeitsbeendigung noch immer Hände, die bei bestimmten Handhaltungen „gefühllos“, werden aber gnädiges Wetter und im Grunde eine dankbare Tätigkeit. Christbaumverkäufer in München, eine Reportage, die einen Arbeitsbereich zeigt, der fernab von gesetzlichen Vorschriften oder einem bestimmten Reglement ausser dem des Zeitdruckes abläuft. Aber wahrscheinlich auch der einzige Job als Verkäufer, bei dem man Menschen so nahe kommen kann, wie bei keinem anderen „Verkauf“. Stunden der Einsamkeit, fernab des Alltagsgeschehens, besucht von einer Maus und einem schwarzen Hasen mitten unter Weihnachtsbäumen unter offenem Himmel. Was veranlasste uns, diesen Report zu machen? Es war die Neugierde ein „Selbstverständnis“, das des Christbaumverkaufsplatzes einfach aus der anderen Perspektive zu zeigen und Unterschiede auszuloten, ob der Weihnachtsbaum immer, bevor er geschmückt in den Zimmern der Menschen steht, zur Ware degradierd wird.
Der Verkaufsplatz befand sich etwa 80 m von einer Durchzugsstrasse entfernt neben einer KFZ Werkstatt auf einer angemieteten Parkplatzfläche Münchens. Die Aufstellung der Metallhalterungen wurde von zwei Arbeitern des daneben befindlichen Großhandelsplatzes vorgenommen. Die Bestückung mit den Bäumen erfolgte dann gemeinsam. Am darauffolgenden Tag, dem 2.12., öffnete der Platz seine Pforten und präsentierte sich in einem ganz anderen Bild. Ab diesem Tag stand der Platz unter der alleinigen Betreuung des Verkäufers. Er hatte dafür Sorge zu tragen, dass zu Arbeitsbeginn alle Gerätschaften, die für die Bearbeitung und Nachbearbeitung der Bäume notwendig waren, vorhanden sind und genügend Christbäume bereits angespitzt bereit standen.
Entgegen der Annahme, dass ein Weihnachtsbaumverkäufer sich darum zu kümmern hat, dass er die Bäume vielleicht mit einem netten Verkaufsgespräch verkauft, hat er sich die Bäume selbst für den Verkauf aufzubereiten. Das bedeutet, dass aus einer Lieferung die Bäume der Grösse nach zu sortieren sind, dann zu kontrollieren, ob der Stamm zum Beispiel schlecht geschnitten oder schief gewachsen ist und gegebenenfalls Korrekturen vorzunehmen sind. Wenn so ein Fall eintritt, dann wird die letzte Reihe der Äste mit Säge oder Axt entfernt und der Stamm ein Stück gekürzt. Aus diesen Ästen ist dann das Reisig, die Daxen, zu machen, das Bündelweise um 2,50 € (5.- DM) verkauft wird.
Mit einer Maschine werden bis auf die kleinsten Bäume alle zugespitzt, damit sie in die verschiedensten Baumkreuze passen. Die Baumgrösse am Verkaufsplatz ging bis zu etwa knapp 3 m Höhe. Mit einem elektrischen Gerät konnte man den Stamm auch fräsen, jedoch entpuppte sich dieses als unhandlich und gefährlich, da das Gerät selbst nur ein etwa 20 cm langes Kabel hatte und mit einem Handtrommelkabel zu Kabeltrommel wieder verlängert werden musste. Dabei musste man den „Schäbser“ und die Handkabeltrommel in einer Hand halten. Abgesehen davon, dass das Gerät nicht leicht ist, besteht die Gefahr, das eigene Kabel zu fräsen. Die Lieferung, die die Bäume umfasste, wurde als Waldbaum bezeichnet. Diese waren entgegen der sogenannten Kulturbäume vom unteren Wuchs her anders behandelt worden. Das Resultat war, dass bis auf wenige Ausnahmen alle Bäume einer händischen Nachbearbeitung bedurften. Ein anderes Kapitel nahm die Schälmaschine ein. Entgegen des Fotos, wo zwei Arbeiter des Grosshandels sich dort betätigen, war es für den Platzverkäufer eine alleinige Aufgabe, so gut wie alle Bäume, die über 1m Höhe hatten, durch dieses Gerät anzuspitzen. Der abgebildete Baum hat etwa 1,7m Höhe. Während der 80 Stunden Arbeitszeit waren es 217 Bäume, die für den Verkaufsplatz durch den Verkäufer gefräst wurden. Die Belastung waren die Prellungen, die beim Einpressen vor allem in der rechten Hand, die im hinteren Bereich des Stammes den Baum fixierte,verursacht wurden.
der „Schäler“ oder „Fräse“ zum Anspitzen der Bäume
In den 8 Tagen des Platzverkaufes kamen bei etwa 182 verkauften Bäumen die unterschiedlichsten Dinge vor. Am interessantesten für bildliche Dokumentationen waren jedoch die Transportvarianten. Hier waren es gleich 4 Bäume für einen gastronomischen Betrieb, die verstaut wurden. So etwas sieht man halt nur in der Vorweihnachtszeit.
Transport von Weihnachtsbäumen
In einem anderen Fall, dachte die sorgsame Käuferin behutsam, dass sich der Baum bei den Wetterverhältnissen nicht eine Verkühlung holen möge und hat ihn zu seinem Schutz gleich in eine Decke eingewickelt. Es war sehr vielfältig und auch unterhaltsam, ob nun am Rad festgebunden, oder mit dem Handwagerl.
Verpackung eines Weihnachtsbaumes
Auch die Frischluftfanatiker waren unterwegs, wofür sich so ein Cabriolet doch alles eignet. Aber es gab auch eine Vielzahl von Stunden, die ohne Käuferbesuch verliefen. In dieser Zeit galt es Bäume für den Verkauf vorzubereiten, um für den grossen Ansturm gerüstet zu sein, bei den Rundgängen zwischen den Bäumen diese von Resten der Netze zu befreien, oder einfach einen kleinen Happen zu sich zu nehmen.
Cabriolet als Transportmittel
Geselligkeit nahmen auch die kleine Maus und die Vögel auf sich, um einige Brotkrümmelchen abzubekommen. Man kann nicht unbedingt von einer intensiven Freundschaft sprechen, dennoch war es eine Freude, wenn sie wiederkamen.
Mäuslein am Arbeitsplatz sorgt für Geselligkeit
Einen abwechslungsreichen Besuch brachte auch diese Familie mit sich, die mit ihren zwei Kindern Aufnahmen zwischen den Bäumen für Weihnachtskarten machte.
für Weihnachtskarten vom „Originalschauplatz“
So sehen sie aus: Mit gebrochener Spitze liegen sie noch vom Transport verpackt, meist abseits, am Boden und werden als „Bruch“ bezeichnet. Selten, dass jemand für 7,50 € (15.- DM) diese Bäume kauft. Viel lieber ist es dem Firmeninhaber, dass sie zu Reisigbüschen verarbeitet werden, da so ein Vielfaches von 7,50 € (15.- DM) erwirtschaftet werden kann. Aber dieser Vorgang ist sehr arbeitsintensiv. Erst nachdem der Verkäufer nachgefragt hatte, wie sich denn die Entlohnung dafür gestalten würde, musste er von seinen Kollegen, die andere Plätze betreuen, erfahren, dass dieses Geld nur teilweise an den Firmeninhaber abgeführt wird. Der Erlös teilt sich in Reisigbüsche, die aus der Bearbeitung der Bäume bei Korrekturen entstehen und solchen aus dem „Bruch-Baum“. Aber auch dem Firmeninhaber dürfte dieser Umstand bekannt sein, da er eher überrascht nachfragte, ob denn der andere Teil, der nicht aus dem „Bruch“ stammen würde, sich auf der täglichen Abrechnung findet. Eine interessante Erfahrung.
Zweigenbüsche werden gewonnen
Aus dem abgebildeten Weihnachtsbaum konnten 5 Reisigbüsche gemacht werden. Um zu zeigen, dass auch dieser Baum seine Bedeutung für Weihnachten für die Menschen durch seine Beschädigung nicht verloren hat, sind wir den Reisigbuschen, die verkauft wurden, gefolgt. Gleich 4 Gebinde hat ein Wirt eines Lokales bei einer Sportanlage gekauft und für Dekorationen seines Betriebes verarbeitet. Der fünfte Reisigbund wurde von einem älteren Paar für verschiedenste Gestecke der Wohnung und für den Friedhof genommen.
So hat der Baum in einer anderen Form vielen Menschen seine weihnachtliche Stimmung übermitteln können und Freude bereitet.
Als Konsument sieht man einen Platz mit Bäumen und einen Verkäufer. Christbaumverkauf ist aber doch irgendwie etwas anderes. Egal ob es regnet und am frühen Morgen nach 30 Min. die Hose eigentlich gewechselt werden könnte, weil sie von nur einem Baum, den man verkauft hat, durch nass ist, oder man an einem anderen Tag einen auf Stunden umgelegten Lohn von 2,50 € (5,50 DM) hat. Es ist der Kontakt mit den Menschen. Bei knapp über 180 verkauften Bäumen hat es nur zwei Menschen gegeben, die etwas anders waren. Ein Paar in den mittleren Jahren besorgte zwei Christbäume im Auftrag der Firma, für die der Mann arbeitete. Und weil er für diese Besorgung sowieso keine Entlohnung bekam, nahm er gleich für sich zu Hause einen kleinen Baum mit und liess ihn auf die Firmenrechnung beim Chef im Container schreiben. Der zweite Fall war auch ein Mann, der ebenso einen Weihnachtsbaum für jemanden dritten besorgte. Es war ihm gleichgültig wie dieser beschaffen war.
Mit vielen Kindern, Frauen und Männern war es möglich, kurze Beziehungen zu schaffen. Ob es nun der Pensionist Alois war, der das erste Mal als Rentner Weihnachten zu Hause feiert, oder die Frau, die am liebsten alle Bäume am Grosshandelsplatz ausgepackt hätte und ihr Mann in Erinnerungen schwelgte, als er noch arbeiten ging und dann von ihr nur den Anruf bekam, wo er den Baum abholen könnte, weil es ihm zu mühselig war. Es war eine Erfahrung, die man nicht missen möchte –
An einem der Tage, ein Morgen in prächtigen Sonnenlicht, wo der Verkäufer alleine am Platz die Reihen seiner Bäume durchschritt und die Zweige mit den Händen berührte und über das Wesen der Christbäume sinnierte, war es als wenn die Bäume zu ihm plötzlich sprechen würden und er vernahm:
„Wir sind der Chor, der erklingt zu den himmlischen Fanfaren in der heiligen Nacht“
011912